Eismassengleichgewicht und Meeresspiegel

Foto: Mündungsgebiet des Pine Island Gletschers (Quelle: K.Gohler, AWI)

Klimaänderungen real – der Meeresspiegel

Änderungen des Meeresspiegels sind eine weitreichende Folge von Klimaänderungen mit Auswirkungen auf unsere Umwelt und das sozioökonomische System. Das Klimasystem besteht aus einer Reihe komplexer Wechselwirkungen zwischen Sonneneinstrahlung, Atmosphäre sowie Meeren und Land, mit ihrer Biosphäre. In den Polargebieten kommt als zusätzliche Größe das Eis hinzu. Ändert sich das Klima, so reagieren die Eisschilde durch Zu- oder Abnahme. Dieser Prozess wiederum beeinflusst Meeresspiegel und Ozeanzirkulation langfristig. Man betrachtet hier Zeiträume über Tausende von Jahren. So kann eine gegenwärtige Zu- oder Abnahme der Eismassen auf Klimaänderungen zurückzuführen sein, die bis in die letzte Eiszeit zurückreichen. Auch das Phänomen der postglazialen Landhebung als Folge des isostatischen Ausgleichs gehört dazu. Hier dehnt sich die Landasse mit einer großen Zeitverzögerung wieder aus, nachdem die Eislast der letzten Eiszeit abgeschmolzen ist.. Kleinere Eisgebiete wie Gletscher oder kleinere Eiskappen reagieren schneller auf Klimaänderungen. Um zuverlässigere Prognosen über zukünftige Meeresspiegeländerungen machen zu können, muss man die Entstehung der heute vorhandenen kontinentalen Eismassen besser verstehen und ihr Massengleichgewicht quantifizieren können.

Der Meeresspiegel ändert sich einerseits durch Wärmeausdehnung, also infolge einer geänderten Dichte des Wassers oder aber durch Zunahme der totalen Wassermasse. Dieses geschieht dadurch, dass an Land gelagerte Wassermassen (in Eisform) sich beim Abschmelzen mit dem Meerwasser vermischen. Man geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent der Süßwasservorräte der Erde so gelagert sind und dass ein gleichzeitiges Abschmelzen der Antarktis, Grönlands und der Berggletscher sowie der kleineren Eiskappen ein globales Ansteigen des Meeresspiegels um rund 70 m auslösen würde. Dies wird in absehbarer Zeit nicht geschehen, jedoch wird deutlich, dass auch ein partielles Abschmelzen schon sehr weitreichende Konsequenzen hätte.

 

Eismassenänderung und Gleichgewicht

Meereis und Gletscher tauschen permanent Süßwasser mit den Ozeanen aus: Sie nehmen durch Schnee, der dann allmählich zu Eis wird, an Masse zu und verlieren auch wieder Masse durch Abschmelzen von Eis. Außerdem kann sich auch Eis ablösen und zu Eisbergen werden. Diese Vorgänge bestimmen das Massengleichgewicht der Eisplatten. Bisher konnte man die Einzelbeiträge nicht ausreichend quantifizieren – nur die Fläche des Eises konnte von Satelliten bestimmt werden, Eisdicken nur punktuell durch Bohrungen gemessen werden. Um das Massengleichgewicht zu ermitteln, behilft man sich bisher mit Schätzungen. So ist das Gleichgewicht der Eismassen für Grönland heute nur vage bekannt.

Mit den gravimetrischen Satellitenmissionen GOCE und GRACE (für die zeitlichen Variationen) erhalten die Polarforscher erstmalig ein hochgenaues Schwerefeld für Grönland und die Antarktis mit einer räumlichen Auflösung von 100 km halbe Wellenlänge. Für ein besseres Verständnis des Eismassenflusses müssen diese Daten aber noch aus Messungen der Eisdicke vor Ort ergänzt werden.

Will man aus diesen neuen Daten die Eismassenbilanz herleiten, stellen sich noch andere Herausforderungen. Auf GOCE bezogen ist die wichtigste Aufgabe, die Effekte eindeutig zuzuordnen: Wieviel Meeresspiegelanstieg ist auf den isostatischen Ausgleich, auf jüngere Eismassenänderungen, auf Änderungen in benachbarten Ozeanen, in der Atmosphäre und Hydrologie zurückzuführen?

Bei der Konvertierung von Volumenränderungen aus altimetrischen Messungen in Massenänderungen muss die Eisverdichtung modelliert werden. Dies birgt erhebliche Konvertierungsfehler. Mit dem GOCE-Schwerefeld bahnt sich hier ein Lösung an: Die aus dem Schwerefeld abgeleiteten Eismassen werden mit Topographiedaten aus Radarmessungen kombiniert und so die Eisdichte und -verdichtungswerte für große Flächen ermittelt, wo bisher nur für einige Bohrlöcher Werte existierten.

Eisbergbildung aus mehreren Gletschern in Cape York Grönland
Quelle: Wikipedia

ERS-Altimetrie und SAR Interferometrie liefern heute detaillierte Beobachtungen der Oberflächengeometrie und -geschwindigkeit der antarktischen und grönländischen Eisplatten. Sie zeigen auch die Topographie von Teilregionen der Eisdecken. Diese Daten versorgen uns mit den kompletten Randbedingungen zur Ableitung von Eisflussmodellen. Da jedoch Informationen über die Eisdicke fehlen, können diese Daten nicht genutzt werden, um Abschätzungen über Abflüsse bei der Bildung von Eisbergen vor allem in der Antarktis zu machen. Die hohe räumliche Auflösung von GOCE bietet hier erstmals die Möglichkeit, durch Gravitationsinversion die Untergrundgeometrie vieler wichtiger Eisströme abzuschätzen- eventuell noch ergänzt durch Radarmessungen. GOCE ermöglicht auch erste Fallstudien der langfristigen Fließbewegungen vieler der wichtigsten Eisströme. Mit den vergleichsweise umfangreicheren Eisdickedaten für Grönland, die vom Dänischen Geodätischen Institut zusammengetragen wurden, wird man die GOCE-Daten vor ihrer Anwendung in der Antarktis validieren können.

Simulationen zeigen, dass die Bodentopographie mit einem Standardfehler unter 10 m bei Strukturen, die typischerweise 80 km oder größer sind, ermittelt werden kann. So kommt man unter anderem zu einer verbesserten Schätzung des Eisdeckenvolumens.

Das hochgenaue GOCE-Geoid ist auch noch für zwei weitere Themenbereiche von Bedeutung: Wie für den Ozean ist das Geoid die Referenzoberfläche für den gravitationsgetrieben Eisfluss. Ausgelöst wird er durch Druckgradienten parallel zum Eisfluss, was von besonderer Bedeutung für die Dynamik der Eisdecken ist. Gegenwärtig kennt man das Geoid nicht genau genug um den treibenden Druck mithilfe von altimetrischen Daten herzuleiten. Zweitens, wird es mit GOCE möglich sein, die früher gemessenen nivellierten Höhen in ellipsoidische Höhen zu konvertieren, die man dann mit modernen GPS-bestimmten ellipsoidischenen Höhen vergleichen kann. Zusätzlich werden die laufenden Beobachtungen der Eisdecken von ERS, Envisat und neuen Missionen wie ICESAT und CRYOSAT von GOCE durch genauere Umlaufbahnen profitieren.