Ozeanographie
So wie es auf den Kontinenten eine Topographie mit Bergen
und Tälern gibt, existiert auf den Ozeanen eine Meerestopographie. Im Vergleich
zum Geoid, welches wir uns als Meeresfläche im Ruhezustand vorstellen können,
sind diese „Berge und Täler” der Ozeane aber höchstens ein bis zwei Meter hoch
oder tief. So entsteht eine dynamische Ozeantopographie, die mit Strömungen wie
dem atlantischen Golfstrom oder dem Antarktischen Zirkumpolarstrom ein
Gleichgewicht darstellt.
Bild: Meeresströme: in Blau Kalte und salzreiche Tiefenwasserströmung,
in Rot Warme Strömung der obersten Wasserschichten, rote
Pfeile im Nordatlantik zeigen den Golfstrom (Quelle: ESA)
Global transportieren die Meeresströme gigantische Mengen an
Wärme und Masse und stehen in komplexen Wechselwirkungen mit Atmosphäre und
Kryosphäre. Daher spielen die Ozeane für das Klima auf der Erde eine zentrale
Rolle. Will man jedoch zuverlässige Klimavorhersagen treffen, müssen wichtige
Fragen einer statischen Betrachtung der Ozeanzirkulation noch beantwortet
werden:
- Wie
viel Wärme transportieren und verteilen die Ozeane um? - Was
sind die absoluten
Strömungsgeschwindigkeiten an den Meeresoberflächen? - Wie
sieht die vertikale Strömung aus; wie werden hier Wärme, Masse, Nährstoffe und Spurenelemente
verteilt? - Wie
funktioniert der Austausch zwischen den Ozeanen und der Atmosphäre? - Wie
wirken mittlere Strömung und Strudelfelder zusammen? - Wie
beeinflusst die Topographie des Meeresbodens die Strömungsverhältnisse.
Auch für die Betrachtung zeitabhängiger Strömungsgrößen
benötigt man hinreichend genaue Informationen über die mittlere Strömung, so dass auch hier
viele Fragen noch offen sind:
-
Wie
lassen sich saisonale und jährliche Schwankungen vergleichen? - Wie
kommen globale und lokale Veränderungen des Meeresspiegels zustande? - Entsteht
der Meeresspiegelanstieg jeweils durch Massen- oder Volumenänderungen? - Wie
beeinflusst die Klimaänderung die Wärmespeicherung ? - Zu
welchen die Veränderungen in der Atmosphäre führt die Nordatlantische
Oszillation ? - Wie
sind Anomalien des Ozeanbodendrucks und Veränderungen der Erdform und Erdrotation
verbunden? - Wie
entstehen durch Instabilitäten der mittleren Strömung Strudel? - Wie
beeinflussen die Strudel die mittlere Strömung?
Bisherige Erkenntnisse reichen zur Beantwortung dieser
Fragen nicht aus.
So wurde vor zehn Jahren zur Erforschung der
Ozeanzirkulation das World Ocean Circulation Experiment (WOCE) durch das World
Climate Research Programme (WCRP) ins Leben gerufen. Die WOCE Messphase ist
beendet, die Analysephase für die Ergebnisse dauert noch an, ebenso wie einige
strategische Insitu-Messungen, wie das weltweite Gezeitenmessungsnetz.
Besonders wichtig für die zukünftige Beobachtung der
Weltmeere ist aber auch die Fernerkundung der Ozeane durch
Satellitenaltimetrie. Zeitgleich zu WOCE und WCRP stehen nun auch
Altimetriedaten der TOPEC/Poseidon und ERS-1/2-Missionen zur Verfügung. Die
zukünftige Ozeanbeobachtung wird Daten aus den Missionen Jason-1, Envisat und anderen
Missionen nutzen.
Die satellitengestützte Radaraltimetrie misst die zeitlichen
Veränderungen der Ozeanoberflächen, wie sie z.B. als Folge der Ausdehnung durch
Wärme, Gezeiten oder auch durch Veränderungen der Strömungsfronten entstehen, global
mit höchster Präzision über einen langen Zeitraum. Altimetrische Daten können
direkt mit den Prozessen und Strömungen im Ozean über die ganze Wassersäule
hinweg in Beziehung gesetzt werden und, da sie relativ einfache ozeanische
Größen darstellen, direkt in Ozean- und numerische Klimamodelle eingebracht
werden.
Die dynamische Meerestopographie, die man zur Berechnung der
(mittleren) Meeresströmung benötigt, konnte man bisher nur mit
Gezeitenmessgeräten in Küstennähe
erfassen. Um zu einem absoluten, globalen Wert zu gelangen, benötigt man als Referenzgröße den
„Ozean in Ruhestellung”, also das Geoid. Da die typische Skala der topographischen
Erhebungen des Meeres zwischen 0,1 und 1 m liegt, muss das Geoid diese
Strukturen erfassen können. Bisherige Geoidmodelle konnten das noch nicht.
Das neue, hochpräzise GOCE-Geoid, das Messwerte von ca. 1 cm
Genauigkeit und Strukturen bis zu einer Größe von unter 100 km sichtbar werden
lässt, stellt erstmalig eine Referenzgröße in ausreichender Qualität dar, mit
der sich mit Hilfe von Ozeanmodellen die absolute dynamische Meerestopographie
und die mittlere Ozeanströmung berechnen lässt.
Bild:Dynamische Meerestopographie
Angesichts der hochpräzisen Messungen der Veränderungen der
Ozeanzirkulation, die die Satellitenaltimetrie bereits liefert, stellt sich die
Frage, warum Ozeanographen so detaillierte Angaben der mittleren Strömung
brauchen. Es gibt hierfür mehrere Gründe:
Welche Rolle spielen
kleinskalige Ströme für Klimaveränderungen?
Die mittleren Strömungen realer Meere und der Ozeanmodelle haben
auch räumlich kleinskalige Abschnitte. Um diese mit Informationen aus der
konventionellen Hydrologie vergleichen zu können, um zu verstehen, wie sie von
der Bathimetrie vor Ort beeinflusst werden und um herauszufinden, welche
Bedeutung sie für den Massen- und Wärmetransport haben, muss man Lage und Größe
dieser kleinskaligen Bereiche altimetrisch vermessen und in Beziehung zum Geoid
setzen. Da man weiß, dass die Ozeane Wärme, Süßwasser und Kleinstteile sowohl
im mittleren Strom als auch in den Stromvarianten wie Strudeln transportieren,
könnten auch diese kleinskaligen Ströme von Bedeutung für Klimaveränderungen
sein.
Der Mittlere Strom als
notwendige Berechnungsbasis für nicht-lineare Prozesse und zeitabhängige
Varianzen
Strudel lassen sich zwar auch altimetrisch erfassen, d.h.
sehen, aber verstehen lässt sich ihre Ursache erst aus der Kenntnis der sie
umgebenden mittleren Ströme. In numerischen Ozeanzirkulationsmodellen lassen
sich verschiedene Grade der Abweichung „durchspielen”, ausgehend von den
mittleren Strömen, auf denen diese Modelle basieren und den Parametern, die diese
mittleren Ströme charakterisieren (z.B. die topographische Gestalt des
Meeresbodens, auch Bathimetrie genannt). Mit solchen Modellierungen lässt sich berechnen,
ob die Abweichungen z.B. verstärkend oder bremsend auf den mittleren Strom
wirken. Es liegt auf der Hand, dass die Ausgangsbasis zur Betrachtung solch nicht
linearer Prozesse und zeitabhängigen Varianzen im „System Ozean” so genau wie
möglich sein sollte.
Die dynamische
Meerestopographie „ordnet” die Modellierung der Ozeanzirkulation
Die Methoden der Datenanpassung für „Meeresvorhersagen”
haben inzwischen ein solches Niveau erreicht, dass altimetrische Daten über Strömungsveränderungen
optimal genutzt werden können, wenn die absolute Meereszirkulation
gleichermaßen präzise parametrisiert werden kann. Die dynamische
Meerestopographie, die sich aus Meereshöhe minus Geoid ergibt, stellt somit
eine sehr wirkungsvolle Bedingung bei der Modellierung und Datenanpassung dar
und ermöglicht so tiefgehende Einblicke in die Meeresabläufe.
Auch kleinere Meeresabschnitte
lassen sich ins Visier nehmen
Erstmalig lassen sich mit dem GOCE-Geoid auch kleinskalige
Phänomene, wie das Antarctic Circumpolar Current (ACC)Jet banding oder lokale
Erscheinungen in der Äquatorzone untersuchen.
Zur Berechnung von Strömen in kleineren Meeresabschnitten
liefert ein räumlich kleinskaliges Geoid, wie GOCE es schafft, die
Nebenbedingungen für die Integration der Informationen, die aus Altimetrie oder
Hydrologie in die Ozeanzirkulationsmodelle eingehen.
Mit der daraus hergeleiteten dynamischen Meerestopographie
können fast alle geostrophischen Meeresströmungssysteme,
angefangen mit den stärksten (Golfstrom, Antarktischer Zirkumpolarstrom) bis zu
den schwächeren Tiefseeströmen und Küstenströmen in ihrer Größe und Lage
erfasst werden.
So wird deutlich, dass ein Verständnis des mittleren
Meeresstromes Hand in Hand mit der Kenntnis der Veränderungen in der
Meereszirkulation gehen muss, wenn man
die nächste Generation numerischer Ozeanmodelle im Visier hat und es gelingen
soll, den Einfluss der Ozeane auf das globale Klima besser zu beschreiben.
Die Kenntnis des hochpräzisen GOCE-Geoids über den Ozeanen bringt:
- Eine
Kartierung der dynamischen Topographie
im kleinskaligen Bereich (100-200 Km) mit einer Genauigkeit von 1-2 cm
für die gesamte Erdoberfläche - Die
Erfassung praktisch aller Erscheinungen innerhalb des mittleren geostrophischen
Strömungsfeldes durch eine genauere Kenntnis der dynamischen Topographie - Ein
besseres Verständnis der Bedeutung kleinskaliger Strömungen und Wirbel für die
Ozeanzirkulation - Eine
signifikante Reduzierung der Unsicherheiten über den globalen Massen-
Wärmetransport der Ozeane
Große Herausforderungen begleiten die zu erwartenden
Verbesserungen und Möglichkeiten: Mit den Satellitengravitations- und
Altimetriedaten einerseits und Insitu-Daten andererseits fließen sehr heterogene
Daten in die Ozeanzirkulationsmodelle ein. Weiter stellt sich die Frage, wie
Meeresspiegelanstieg durch thermische Expansion, Eisschmelze,
Massenumverteilung oder vertikale Landbewegungen sich trennen und in Modellen
angemessen simulieren lassen. Und schließlich die muss noch die weitgefasste Aufgabe,
zeitabhängig und global die absoluten Meeresströmungsfelder im Ozeanquerschnitt
zu erfassen, bewältigt werden.
Quellen
Reports for Mission Selection; Gravity Field and Steady-State Ocean Circulation Mission, ESA 1999
Mass Transport and Mass Disrtibution in the Earth System, GOCE-Projektbüro Deutschland 2005